Alles über Es (2017) – Das große Special

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Worum geht es wirklich in Es? Eine Interpretation.

Spoiler-Warnung: Dieser Abschnitt ist spoilerfrei für alle, die entweder das Buch gelesen oder die 1990er-Verfilmung gesehen haben.

Der kleine Georgie soll etwas aus dem Keller holen. Bildhaft stellt er sich vor, was in den dunklen Ecken des Kellers lauern könnte. Also beeilt er sich, und auf dem Rückweg rennt er die Kellertreppe so schnell er kann wieder nach oben, ohne sich umzudrehen.

Jeder, der einmal Kind war, versteht diese Szene aus dem ersten Kapitel von Es. Viele erinnern sich vielleicht daran, dass sie Angst davor hatten, nachts ein Bein aus dem Bett baumeln zu lassen, weil etwas unter dem Bett danach greifen könnte. Manche versteckten sich unter ihrer Bettdecke, weil sie daran glaubten, durch einen dünnen Spalt im Kleiderschrank von einem Monster beobachtet zu werden.

Genau wie das unbekannte Wesen im Keller, unter dem Bett oder im Wandschrank hat Es kein festes Erscheinungsbild. Stephen King, der von sich selbst behauptet, ein überdurchschnittlich ängstliches Kind gewesen zu sein, spielt in Es mit den typischen Kinderängsten, die auf einmal Wirklichkeit werden – allerdings nur durch Kinderaugen. Erwachsene nehmen die Morde an den Kindern wahr – ein Beweis dafür, dass Es scheinbar tatsächlich existiert – sie sind jedoch (bis auf wenige Ausnahmen) nicht imstande, Es zu sehen. So gesehen entsteht innerhalb der Geschichte ein Paradoxon: Erwachsene glauben nicht mehr an Monster, also nehmen sie Es nicht wahr. Es wird Realität, weil Kinder daran glauben – genau wie an das Monster im Keller.

Kinder nehmen im Gesamtwerk von Stephen King eine besondere Rolle ein. Durch die kindliche Fantasie, ihren naiven Glauben an das Gute und ihre enorme Vorstellungskraft (Eigenschaften, die im Laufe ihrer Adoleszenz einem rationalen und vernünftigen Denken weichen) werden ihnen vom Autor besondere, ja sogar magische Fähigkeiten zugeschrieben. So hat etwa Danny Torrance in Shining dank seines „zweiten Gesichts“ eine paranormale Begabung. Brian Rusk erkennt in In einer kleinen Stadt (OT Needful Things) als erster die wahre Gestalt von Leland Gaunt, lange bevor es die erwachsenen Figuren können. Auch Jake Chambers spielt in der Saga Der dunkle Turm eine entscheidende Rolle und Louis Creed wird in Friedhof der Kuscheltiere durch eine Vorhersehung seiner kleinen Tochter Ellie vor einer Gefahr gewarnt.

Kein anderer King-Roman thematisiert den Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen so intensiv wie Es. Die Kinder im „Klub der Verlierer“ sind davon überzeugt, das scheinbar unsterbliche Wesen mithilfe kindlicher „Waffen“ wie einer Steinschleuder und Silberkugeln besiegen zu können – und weil sie daran glauben, gelingt ihnen das auch. Klingt paradox, erscheint jedoch logisch, wenn man bedenkt, dass Es ja auch überhaupt nur deshalb existiert, weil die Kinder an Es glauben.

Ihr Versprechen, nach Derry zurückzukehren und Es erneut zu bekämpfen, wenn Es jemals wiederkehrt, besiegeln sie mit einem Schwur, bei dem sie mittels einer Glasscherbe Blutsbrüderschaft schließen. Ein Akt, mit dem sie symbolisch das Ende ihrer Kindheit besiegeln, aber auch ihr Überleben, ihr zweites Leben, ihre „Auferstehung“ als Erwachsene – die beiden aufgeritzten, blutigen Handflächen erinnern an die Wundmale Jesu. Zudem haben sie es geschafft, sich ihren schlimmsten Ängsten zu stellen, weil sie tapfer waren – welche Prüfung auf dem Weg zum Erwachsenwerden könnte größer sein als diese?

Als Es 27 Jahre später wiederkehrt, sind die Freunde schockiert. Sie sind der festen Überzeugung, Es nicht mehr besiegen zu können, weil sie keine Kinder mehr sind. Maßnahmen wie in die Kanalisation hinabzusteigen erscheinen ihnen in ihrem erwachsenen Vernunftsdenken plötzlich kindisch und lächerlich. Der Schlüssel liegt darin, etwas zu lernen, was sie vor lauter Vernunft längst vergessen haben: Die Welt wieder mit Kinderaugen zu sehen.

Alles über Es (2017)

Der Erwachsenen-Cast des 1990er-Films mit Tim Curry als Pennywise

Erinnert ihr euch daran, dass es Momente in eurer Kindheit gab, in denen ihr keine Angst vor waghalsigen Aktionen hattet und die ihr als Erwachsene nicht mehr tun würdet? In Es wird dieses Phänomen durch Bills Fahrrad symbolisiert. Ohne einen Gedanken an böse Konsequenzen brettert Bill eine steile Straße hinunter, mitten durch den fließenden Verkehr und im festen Glauben daran, er könne die Schallmauer durchbrechen – typisch für übermütige Kinder, undenkbar für vernünftige Erwachsene. An vielen Stellen des Romans gelingt es Bill außerdem, mithilfe des Fahrrads vor Es zu fliehen, indem er kräftig in die Pedale tritt und nicht zurückschaut. Dabei steigert er sich in kindliche Fantasien hinein und glaubt fest an sein Entkommen – und dadurch wird es wahr.

Es als übernatürliches Wesen, die Illusionen, die Es hervorruft, der Kampf gegen Es in der Kanalisation sind Dinge, an die Erwachsene nicht glauben. Indem es den Freunden gelingt, sich wieder in ihr kindliches Ich zu versetzen, sich an ihre Kindheit zu erinnern und daran, wer sie als Kinder waren und woran sie geglaubt haben, schaffen sie es am Ende, Es endgültig zu besiegen. Zurück bleibt Bills Frau Audra, die durch die böse Macht von Es unter einer Art Bann zu stehen scheint. Bill kann diesen Bann brechen, indem er mit ihr auf sein altes Fahrrad steigt und die Straße hinunterrast, ohne an Gefahren zu denken – so, wie er es als Kind getan hat. Er kann Audra von ihrer Lethargie befreien, da er in diesem Moment den naiven Glauben an das Gute, wie ihn nur Kinder besitzen, über seine erwachsene Vernunft stellt.

Hier schließt sich der Kreis des anfangs erwähnten Paradoxons. Es wird Realität, weil Kinder daran glauben. Es bezieht aber auch seine Kraft daraus, sich ausschließlich von Kindern zu „ernähren“ – vermutlich deshalb, weil Kinder die einzigen sind, die Es gefährlich werden können und Es somit seinen einzigen natürlichen Feind auslöscht. Immer wieder droht Es den Kindern damit, dass sie es nicht besiegen können, weil Es sogar Angst vor ihnen hat. Und so kann Es auch nur von Kindern besiegt werden – oder von Erwachsenen, die sich daran erinnern, wie es war, ein Kind zu sein.

Abseits der Coming-of-Age-Thematik ist Es eine wunderbare Parabel auf die einzig wahre Freundschaft, die alle Grenzen sprengt. Letztendlich ist es auch diese innige Bindung, das grenzenlose Vertrauen, die Bereitschaft, für den anderen zu sterben, was den Kindern die Macht verleiht, das Böse zu besiegen. Dafür spricht, dass Es die Kinder immer nur angreift, wenn sie allein oder höchstens zu zweit unterwegs sind. Ist der „Klub der Verlierer“ vollständig versammelt, zeigt sich Es noch nicht einmal, wenn es von den Kindern dazu aufgefordert wird – ein Hinweis darauf, dass Es gegen die Gruppe keine Chance hat. Im Buch wird das auch durch den Kreis, den die Kinder immer wieder bilden, symbolisiert – eine Metapher für ihre Liebe zueinander, aber auch für Ewig- und Unsterblichkeit. Ihre Kindheit mag vorbei sein – ihre Freundschaft jedoch wird durch den Kreis als Symbol „unsterblich“, genauer: unvergessen. Anders: Zwar müssen die Kinder gegen ihren Willen erwachsen werden – was ihnen aber bleibt, ist das Geschenk, sich für immer an ihre Freundschaft erinnern zu können, die sie durch ihren Kreis unsterblich gemacht haben.

Alles über Es (2017)

Schnappschuss vom Set: Die Kinderdarsteller in einer Drehpause

Bemerkenswert ist auch die Bezeichnung „Klub der Verlierer“. Gerade diesen Kindern, die wegen ihrer „Makel“ von anderen gehänselt und unterdrückt werden, gelingt der Sieg über das absolute Böse. Teilweise nutzen sie dazu sogar ihre Schwächen, so wie etwa Eddie, als er sein Asthmaspray gegen Es einsetzt. Ben schafft es, abzunehmen und Beverly überwindet ihre Abhängigkeit von gewalttätigen Männern.

Was viele Leser und Zuschauer angesichts des Monsters vergessen: Die Kindheit der sieben Freunde ist auch abseits von Es von Gewalt und Missbrauch durch die Eltern, Ignoranz der Lehrer, Mobbing der Mitschüler und Armut geprägt. King assoziiert das Erwachsenwerden mit einem realen Horror, der durch das gesellschaftliche Umfeld erschaffen. Erwachsen werden muss jeder von uns – außer, er stirbt jung. Den Kindern, die Es tötet, bleibt der Horror des Erwachsenwerden erspart. So gesehen steht das Wesen Es auch als Metapher für alles, was man durchmachen und „überleben“ muss, um erwachsen zu werden. Die sieben Freunde haben also die Wahl: Entweder sie sterben durch Es und müssen dafür niemals erwachsen werden – oder sie entscheiden sich bewusst dafür, erwachsen zu werden. Dafür müssen sie zwar vieles durchstehen und tapfer bleiben – aber sie bleiben am Leben. Am Ende hat das Erwachsenwerden also auch etwas Gutes. Indem die Kinder wachsen und sich verändern, gewinnen sie an Stärke, überwinden ihre Ängste, verwirklichen ihre Träume und erinnern sich an die schönen Momente ihrer Kindheit.

So gesehen hält das Buch viele positive Botschaften für jeden von uns bereit. Glaubt ihr uns jetzt, dass in Es mehr steckt als nur ein Clown?

Begann ihre Zockerkarriere mit einem Sega Game Gear. Hält Silent Hill für das ideale Reiseziel und die Ocarina für das schönste Instrument.