Warum Es die schlechteste Romanverfilmung aller Zeiten ist

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Es (2017) Filmkritik

Eine Studie besagt, dass 98 Prozent der Deutschen wissen, wie die Bundeskanzlerin heißt. Momentan fühlt es sich so an, als hätten 98 Prozent der Deutschen mindestens einen Trailer von Es gesehen. Um den Hype zu verpassen, der um die Neuverfilmung des 32 Jahre alten Romans von Stephen King gemacht wird, hätte man über Monate hinweg das Internet meiden müssen. Die ausgeklügelte Marketing-Strategie zeigt ihre Wirkung: Mittlerweile ist der Film mit 400 Millionen Dollar Einspielergebnis der kommerziell erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten und kann sich vor hervorragenden Kritiken kaum noch retten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen – von denen, die das Buch gelesen und geliebt haben, aber auch von allen, die einfach gute Horrorfilme mögen und sich so richtig gruseln wollen. Am Ende spielt es keine Rolle, wie ihr an Es herangeht, da dieser Film die allermeisten Kinozuschauer enttäuschen wird. Warum das so ist, verrate ich euch (spoilerfrei) in unserer Es (2017) Filmkritik.

Es (2017) Filmkritik

So viel sei vorab verraten: Pennywise ist im Film oft zu sehen.

In meinem großen Special zu Es habe ich bereits ausführlich geschildert, was Es so groß und das Buch zu einem der besten Bücher aller Zeiten macht. Es ist ein gruseliger Horrorroman, aber auch eine tiefgründige, berührende, hochemotionale Story. In der ungekürzten Ausgabe umfasst das Werk über 1500 Seiten. Dementsprechend erzählt Stephen King eine Geschichte mit epischem, fast biblischem Ausmaß. 1990 wurde der Stoff zum ersten Mal als Zweiteiler verfilmt und enttäuschte vielen Fans, weil er teilweise stark von der Vorlage abwich. Wer sich von der Neuverfilmung mehr Nähe zum Buch erhofft, wird nicht nur enttäuscht, sondern regelrecht schockiert sein.

Regisseur Andy Muschietti übernimmt drei wichtige Stellen aus der Romanvorlage – und erfindet den Rest der Story komplett neu. Der Opener mit Georgie und Pennywise ist die beste Szene, danach geht es steil bergab. Beinahe kommt es einem so vor, als habe man es sich mit aller Macht zum Ziel gesetzt, sich so weit wie nur möglich vom Buch zu entfernen. Stellt euch vor, ihr würdet eine Neuverfilmung von Star Wars schauen. Darth Vader und Luke Skywalker treffen nicht aufeinander, Prinzessin Lea ist eine blonde Prolo-Bitch, Han Solo und Chewbacca hassen sich und Luke Skywalker hat Sex mit R2-D2. Was wie eine alberne Persiflage klingt, lässt erahnen, wie sehr sich Es-Fans von der filmischen Neuauflage vereimert fühlen müssen.

Es (2017) Filmkritik

Die sieben Freunde bei einer – zugegeben – spannenden Szene, die aber wie so viele andere nichts mit dem Buch zu tun hat

Während das Buch 1958 spielt (als Stephen King selbst noch ein Kind war), wurde die Handlung im Film auf 1988 vorverlegt und präsentiert sich in zeitgemäßem Gewand. Actionreiche Szenen werden mit entsprechender Rockmusik aus den Achtzigern untermalt. Ob man das gut findet, darüber lässt sich streiten – nicht jedoch über die Tatsache, dass die filmische Interpretation der Clique als „Klub der Verlierer“ einer Katastrophe gleicht. Die Freundschaft, die zwischen den sieben Kindern besteht, erscheint Lesern des Buchs unwirklich, ja gar zu schön um wahr zu sein. Immer wieder betonen die Freunde, wie sehr sie einander mögen, wie sehr sie zusammenhalten und dass sie füreinander – im wahrsten Sinne des Wortes – sterben würden. Ihre Liebe füreinander ist bedingungslos – nur so haben sie eine Chance gegen das Böse.

Im neuen Film ist davon nichts mehr zu übrig. Die Kinder gehen miteinander um, wie Kinder im Jahr 2017 miteinander umgehen. Aus unzertrennlichen Freunden werden oberflächliche High-School-Bekannte. Hier wird ein „Freundschafts“-Typus stilisiert, den jeder von uns kennt: Gemeinsam abhängen und einen saufen? Kein Problem. Um drei Uhr nachts verheult anrufen? Lieber nicht. Auf primitivem Niveau machen die Kinder sexuell zweideutige Witze über die Mutter des jeweils anderen. Das mag realistisch sein, darüber mögen einige Kinobesucher lachen – zur Thematik von Es passt das jedoch wie Gruppensex zum Vatikan und nimmt dem Film obendrein jegliche Gruselstimmung.

Es (2017) Filmkritik

Die Präsentation von Pennywise und dessen Darstellung durch Bill Skarsgard ist einer der wenigen Lichtblicke des Films

Abgesehen von der Macht wahrer Freundschaft ist Es eine Coming-of-Age-Geschichte, die von den unüberwindbaren Unterschieden zwischen Kindern und Erwachsenen erzählt. Da geht es um die Ängste, die wir als Kinder hatten, um die Dinge, an die wir als Kinder geglaubt haben und die uns als Erwachsene plötzlich irrsinnig erscheinen, um die Kraft und Magie kindlicher Fantasie. Um alles, was man überstehen, durchmachen, überleben muss, um erwachsen zu werden. Einen entsprechenden Gedankenaustausch zwischen den Freunden, philosophische Ansätze über Adoleszenz, kluge Dialoge und bereichernde Weisheiten, eine zu Herzen gehende Message – all das sucht man in der Neuverfilmung vergebens.

Es darf bezweifelt werden, ob Zuschauer ohne Vorkenntnisse überhaupt verstehen, worum es hier gehen soll. Warum sich die Kinder als „Klub der Verlierer“ bezeichnen, was es mit Georgies LEGO-Schildkröte auf sich hat oder was der letzte Satz, den Stan im Film von sich gibt, bedeutet. Auch das macht der Film falsch: In den wenigen Momenten, in denen er Bezug auf das Buch nimmt, wirft er den Zuschauern Informationshäppchen zu, die sie gar nicht erst verstehen können. Von den Aspekten, die ausgelassen wurden, von all den unbeantworteten Fragen (Was genau ist Es? Woher kommt Es?) fangen wir lieber gar nicht erst an.

Es (2017) Filmkritik

Das Finale des Films verkommt zu einer 08/15-Actionszene

Aus einem ganz und gar tiefgründigen Buch, dessen Gruselelemente auf psychologischer Ebene passieren, hat Muschietti einen oberflächlichen, lieblosen und schwachen Horrorfilm gezimmert, dessen beste Jumpscares bereits im Trailer gezeigt werden. Die hervorragende schauspielerische Leistung der Kinderdarsteller und auch die Präsentation von Pennywise in Verbindung mit Bill Skarsgards gelungener Umsetzung lassen sich nicht abstreiten. Abgesehen davon gelingt es dem Film noch nicht einmal im Ansatz, die emotionale Bedeutsamkeit, den epischen Umfang der Kindheitsgeschichte, die psychologisch verstörende Atmosphäre, die tiefschürfenden Thematiken über bedingungslose Liebe und die Tragik des Heranwachsens einzufangen.

Eines muss man dem Regisseur lassen: Er hat den 32 Jahre alten Stoff erfolgreich in ein modernes Gewand für die Smartphone-Generation gepackt. In einer Zeit, in der unsere Gesellschaft von zunehmender Verrohung, Oberflächlichkeit und Empathielosigkeit gezeichnet ist, wirken durch das Buch vermittelte Werte wie Nächstenliebe und Warmherzigkeit befremdlich, pathetisch und altmodisch. Kurz: Sie passen nicht mehr.

Übrig bleibt ein kurzweiliger und unterhaltsamer, aber auch ein kalter, emotionsloser, belangloser und in keiner Weise berührender Film, der mit seinen lahmen Gruselszenen weder Horrorfans das Fürchten lehrt, noch Fans zufriedenstellt, da er alles, was das Buch so großartig macht, mit Füßen tritt. So wie der erste Teil die Weichen gestellt hat, kann auch der zweite Teil (kommt 2019) nicht mehr viel daran ändern.

Wer sich ein Bild vom „wahren“ Es machen möchte, dem sei die Verfilmung von 1990 empfohlen. Wer vor den 1500 Seiten des Romans zurückschreckt, kann sich eine gebrauchte Ausgabe besorgen. Die vor 2011 erschienenen Auflagen sind auf unter 900 Seiten gekürzt und reichen völlig aus, um nichts von der grundlegenden Storyline zu verpassen. Alle anderen, die nur den neuen Film kennen, können noch nicht einmal erahnen, was für eine großartige Geschichte ihnen entgeht. Hier könnt ihr euch ein Bild davon machen.

Es (2017) Filmkritik

An der schauspielerischen Leistung der Kinderdarsteller gibt es nichts zu meckern

Begann ihre Zockerkarriere mit einem Sega Game Gear. Hält Silent Hill für das ideale Reiseziel und die Ocarina für das schönste Instrument.

3 Kommentare

  1. Was für eine überflüssige schlechte Kritik eines grandiosen Filmes

    • Seh ich ganz genau so. Absolut grandioser Film

    • Ich denke, ich habe ausführlich und sachlich, vor allem aber argumentativ begründet, was mir an diesem Film nicht gefällt. Was sind deine Gründe für die Behauptung, der Film sei grandios?

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