Die komplette Silent Hill-Retrospektive: Teil 4

Die komplette Silent Hill-Retrospektive: Teil 4

Teil 4: Die Stadt und ihre Bewohner – was wirklich hinter Silent Hill steckt

Pyramid Head, Lisa & Co.: Die Figuren sind die Stars

Im Grunde stellen wir uns einen Videospielhelden stark und mächtig vor. Oft trägt er eine stählerne Uniform wie der Masterchief, verfügt wie Geralt von Riva über magische Fähigkeiten oder rettet sich wie Lara Croft durch akrobatisches Geschick und Schießkraft aus jeder Gefahr. Die Charaktere in Silent Hill sind das genaue Gegenteil dieser mächtigen Helden. Unscheinbare, gebrochene, oft surreale, teilweise auch wahnsinnige Gestalten, unbeholfen im Umgang mit Waffen, von ihrer Vergangenheit gezeichnet, traumatisiert und gekennzeichnet durch den verzweifelten Willen, den eigenen Dämonen zu entkommen oder einfach nur zu überleben. Viele der Figuren wie etwa Heather Mason waren schon einmal in Silent Hill, andere wie James Sunderland haben sogar Schuld auf sich geladen – in jedem Fall aber haben die Figuren ihre Vorgeschichte verdrängt, bis diese sich im Lauf des Spiels schmerzhaft zurück in ihr Bewusstsein bohrt und für den Spieler sichtbar wird. Zudem wechselt der Protagonist, ähnlich wie etwa in Final Fantasy, von Spiel zu Spiel und wirkt zunächst einmal völlig durchschnittlich, unscheinbar und austauschbar. Vielleicht haben diese Figuren genau deshalb einen Platz in den Herzen der Spieler: Sie sind dem Spieler nahe, erinnern ihn an seine eigenen Schwächen und leiden an Schicksalen, mit denen sich jeder identifizieren kann.

Achtung! Ab hier können Spoiler zur Story und zu den Charakteren folgen!

Ihr lachen wirst du nie mehr vergessen: Fan-Liebling Lisa Garland

Ihr Lachen wirst du nie mehr vergessen: Fan-Liebling Lisa Garland

Eine der bei Fans beliebtesten Figuren ist die drogenabhängige Krankenschwester Lisa Garland, die durch ihre Aufgabe, sich um die schwer verbrannte Alessa Gillespie zu kümmern, traumatisiert ist. Benannt wurde die Figur nach der Schauspielerin Judy Garland aus dem Filmklassiker Der Zauberer von Oz. Besonders eingeprägt hat sich Lisa nicht nur durch ihr auffälliges Lachen, bei dem sie ihre weißen Zahnreihen auffällig deutlich entblößt. Sie begegnet Harry Mason erstmals im veränderten Krankenhaus und wer einmal die berühmte Cutscene gesehen hat, in der Lisa erkennt wer sie wirklich ist, vergisst diese sicherlich nie mehr. Da Silent Hill: Origins zeitlich vor Silent Hill spielt, begegnet sie dort als junge Auszubildende auch Travis Grady. In Shattered Memories spielt Lisa ebenfalls eine Rolle, und auch hier kann Harry Mason ihr Ableben nicht verhindern. Lisas Tod sowie ihr endloses Leiden haben die Fans gleichermaßen erschüttert wie schockiert, so dass sie wohl am häufigsten als Motiv für FanArt diente. Aufgrund ihrer großen Beliebtheit und auch um ihre ewige Qual zu verdeutlichen, ist Lisas lachender Mund an mehreren Stellen in Silent Hill 3 zu sehen.

Fan-Theorie: Der lachende Mund in Silent Hill 3 gehört zu Lisa Garland

Fan-Theorie: Der lachende Mund in Silent Hill 3 gehört zu Lisa Garland

Eine weitere Figur, die immer wieder in der FanArt auftaucht und sich großer Popularität erfreut, ist der Pyramid Head, auch Red Pyramid Thing, Pyramidenkopf oder (in Silent Hill: Homecoming) Boogeyman genannt. Sein Auftreten ist genauso unheimlich und ominös wie sein Äußeres. Er erscheint völlig stumm, vergeht sich sexuell an anderen Monstern, verfolgt eure Spielfigur und tritt mehrmals als Endgegner in Erscheinung. Als eine Art Henker und Bestrafender richtet er mit seinem riesigen Messer mehrere Figuren, was auch sein Äußeres erklärt, da James im Geschichtsforschungsverein Gemälde findet, das ehemalige Henker der Stadt Silent Hill zeigt, und diese sehen exakt wie der Pyramid Head aus. In Silent Hill 2 ist der Pyramid Head als Manifestation von James’ Sünde und dessen Schuldgefühlen zu verstehen, die der Tod an seiner Frau Mary hervorgerufen hat und die ihn nun verfolgen, da er die Erinnerung daran verdrängt hat. Gleichzeitig soll er James nicht nur immer wieder an das, was er getan hat, erinnern, sondern ihn auch bestrafen. Dass sich der Pyramid Head sexuell an anderen Monstern vergeht, kann als Mahnung an James gedeutet werden, dessen sexuelle Wünsche während der Erkrankung seiner Frau unerfüllt blieben. Im Kinofilm tritt er als Red Pyramid auf und hat eine andere Hintergrundgrundgeschichte. Obwohl er seinen Helm nie abnimmt, erklären die Macher im japanischen Book Of Lost Memories (https://www.silenthillmemories.net/lost_memories/info_en.htm), dass sein Kopf dem Valtiels ähnelt, wobei sein nackter Oberkörper eindeutig menschlich gestaltet ist. Dies wird auch am Ende von Silent Hill 2 angedeutet, als der Spieler einen kurzen Blick auf den missförmigen Hals der Figur erhaschen kann. In dem Konami-Sportspiel New International Track & Field (2008) für den Nintendo DS hat der Pyramid Head neben Simon Belmont und Solid Snake übrigens einen Gastauftritt in Chibi-Optik.

Der Pyramid Head hat im Nintendo DS-Spiel New International Track & Field (2008) einen Gastauftritt

Der Pyramid Head hat im Nintendo DS-Spiel New International Track & Field (2008) einen Gastauftritt

Noch weitaus geheimnisvoller als der Pyramid Head ist die eben erwähnte Figur Valtiel. Dieses gesichtslose Wesen mit dem zuckenden Kopf taucht ausschließlich in Silent Hill 3 auf und bewegt sich auf allen Vieren fort. Eine Besonderheit besteht darin, dass Valtiel lediglich im Hintergrund einiger Schauplätze zu sehen ist, die Heather besucht. Er nimmt aber nie Kontakt zu ihr auf, reagiert nicht auf sie, begegnet ihr nie als Endgegner und ist für den Spieler unerreichbar. Mit seiner auf dem Rücken zusammengenähten Henker-Schürze und den Handschuhen erinnert er optisch etwas an den Pyramid Head. Sein Mysterium ergibt sich jedoch aus seinen Taten: Er quält Krankenschwestern, dreht an quietschenden Ventilen oder folgt Heather, um dann plötzlich wieder zu verschwinden. Wenn Heather stirbt, erscheint Valtiel in einer Game-Over-Cutscene und zieht sie aus dem Bild, dem besiegten Endgegner am Schluss des Spiels bedeckt er das Gesicht mit einem Tuch. Was symbolisiert diese seltsame Figur? Möglicherweise verkörpert Valtiel eine Art Fährmann, der die Toten beseitigt. Er soll außerdem eine Art „Wächter“ von Alessa Gillespie und dem Fötus („Gott“) sein, den Heather Mason in sich trägt. Einer weiteren Theorie zufolge, die von Figuren-Designer Masahiro Ito von Team Silent bestätigt wurde, hat Valtiel Lisa Garland getötet, bevor sie Harry Mason in Silent Hill nur noch als eine Art Geist begegnet. In jedem Fall aber bedeutet Valtiels Drehen an Ventilen, dass an der jeweiligen Stelle im Spiel der Übergang in die Alternativwelt erfolgt, wie Masahiro Ito erklärt. Diese These wird durch eine Stelle in Silent Hill 3 bestätigt, in der sich Heather plötzlich in der Alternativwelt wiederfand, nachdem sie am Ventil einer Badewanne gedreht hatte. Somit scheint Valtiel auch eine Art Hüter der Dimensionen, vielleicht auch nur der Alternativwelt zu sein. Achtet also beim Spielen von Silent Hill 3 genau darauf, wann Valtiel auftaucht!

Eine der geheimnisvollsten Figuren: Valtiel

Eine der geheimnisvollsten Figuren: Valtiel

Ebenso spektakulär wie die menschlichen Charaktere sind die wiederkehrenden Monster oder auch „Creatures“. Man könnte meinen, dass diese grauenhaften Gegner der Fantasie eines Verrückten entsprungen sind. Weshalb wir das so empfinden, erklärt Masahiro Ito damit, dass seine Monster trotz ihrer Abartigkeit viel Menschliches an sich haben und wir dies unbewusst auch wahrnehmen. So tragen die Figuren nie tierische Attribute wie Hörner oder Tentakeln, sondern bestehen aus verstümmelten, an Wucherungen erinnernde menschliche Gliedmaße. Gleichzeitig spiegeln die Monster den Schmerz der menschlichen Charaktere wider. So fällt beim Pyramid Head auf, dass sein Helm mit Schrauben an dessen Kopf befestigt sind. Ito nennt als Inspiration für seine Kreaturen den niederländischen Maler Hieronymus Bosch, der häufig Höllenfiguren malte. Zwei weitere Vorbilder waren der Ire Francis Bacon, der vielfach deformierte Körper mit amputierten Gliedern porträtierte, sowie der polnische Künstler Hans Bellmer, dessen Werke weibliche Gliedmaßen ohne Kopf zeigen, welche willkürlich aneinandergewachsen sind.

Die Gemälde des irischen Malers Francis Bacon haben die Monster in Silent Hill inspiriert

Die Gemälde des irischen Malers Francis Bacon haben die Monster in Silent Hill inspiriert

Vorbild für Silent Hill-Monster: Die Puppen von Hans Bellmer

Vorbild für Silent Hill-Monster: Die Puppen von Hans Bellmer

Licht im Dunkeln: Ein Erklärungsversuch mit Spoilern

Die Silent-Hill-Spiele sind auf ihre eigene groteske Art unterhaltsam, spannend, furchteinflößend, vor allem aber auch verwirrend. Wer einen Teil durchgespielt hat, blieb wahrscheinlich erst einmal ratlos zurück, da viele Fragen nicht beantwortet und viele Szenen nicht verstanden wurden. Tatsächlich könnte man wohl allein über die Hintergrundgeschichte der Stadt ein ganzes Lexikon schreiben. An dieser Stelle möchte ich versuchen, wenigstens ein bisschen Licht ins blutige Dunkel zu bringen und einen Blick auf die Geschichte hinter der Kleinstadt werfen.

Tatsächlich lässt sich nur ungenau bestimmen, in welchem Jahr die einzelnen Stadtbesuche der Figuren stattfinden. Fest steht, dass im 19. Jahrhundert ein Bürgerkrieg und eine Epidemie in der Kleinstadt getobt haben und viele Einwohner ihr Leben verloren. Anlässlich dieser Ereignisse wurden das Gefängnis und die Krankenhäuser erbaut. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Stadt zur Touristenattraktion, was den Vergnügungspark erklären könnte. Das erste für die Spieler relevante Ereignis spielte sich in den 1970er Jahren ab, als Travis Grady in Silent Hill: Origins ein schwer verletztes Mädchen aus einem brennenden Haus rettete. Es handelte sich dabei um die siebenjährige Alessa Gillespie. Das Mädchen hatte so starke Brandverletzungen, dass sich ihre Betreuerin – Krankenschwester  Lisa Garland – darüber wunderte, wie sie überhaupt noch am Leben sein konnte.

Die zentrale Figur der Reihe: Alessa Gillespie

Die zentrale Figur der Reihe: Alessa Gillespie

Was der Spieler zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Alessas Mutter Dahlia Gillespie war Anführerin des „Kults“, einer völlig fanatischen religiösen Sekte, die auch „Der Orden“ genannt wird und in allen Silent-Hill-Teilen eine wesentliche Rolle spielt. Das Symbol des Kults mit dem Namen „Halo of the sun“ wird jedem Spieler von Silent Hill 3 schon einmal aufgefallen sein, da es sich hierbei auch um den Speicherpunkt des Spiels handelt. Aufgrund des Kults ist die Kirche der Stadt auch ein wesentlicher Schauplatz in mehreren Spielen der Reihe.

Der berühmte Speicherpunkt der Reihe

Der berühmte Speicherpunkt der Reihe

Um den von ihnen angebeteten „Gott“, wie der Kult ihn schlicht nennt, zur Welt zu bringen, opferte Dahlia ihre Tochter Alessa. Bei einem Ritual sollte Alessas Körper den Fötus von „Gott“ aufnehmen und ihn später zur Welt bringen, wobei jedoch versehentlich der besagte Brand verursacht wurde.

Vor diesem Unfall wurde Alessa in der Midwich Elementary Highschool von ihren Mitschülern als Hexe beschimpft, da sie von Geburt an die Fähigkeit besaß, Menschen per Gedankenkraft Schmerzen zuzufügen. Nach dem Unfall gab der Kult offiziell Alessas Tod bekannt, sie wurde jedoch weiterhin verdeckt von Lisa im Alchemilla Hospital gepflegt. Um sich zu befreien, erschien ein Teil ihrer Seele Travis Grady als eine Art Geist und bat ihn, das Flauros-Rätsel zu lösen. Als Travis dies am Ende von Silent Hill: Origins geschafft hatte, wurden Alessas angeborene Fähigkeiten wieder freigesetzt, wodurch die Alternativwelt von Silent Hill entstand, die den gesamten Zorn, die Angst und das Leid des Mädchens darstellt und als eine Art Rache von Alessa fungiert. So soll die Dritte Dimension von rostigen Gittern durchzogen sein, weil diese an Alessas Verbrennung erinnern. Ferner weisen die Rollstühle und Krankenbetten der Alternativwelt auf ihre Genesungszeit im Alchemilla Hospital hin, was möglicherweise auch erklärt, weshalb die Dritte Dimension in den Krankenhäusern am intensivsten ausgeprägt ist. Die Monster im Spiel wie der Creeper oder der Worm Head sollen auf Alessas Angst vor Insekten und Hunden basieren.

Travis Grady rettet die verbrannte Alessa Gillespie in Silent Hill: Origins (2007)

Travis Grady rettet die verbrannte Alessa Gillespie in Silent Hill: Origins (2007)

Dies alles ist jedoch nur eine von vielen Theorien, da die Alternativwelt auch als eine Manifestation unbewusster Gefühle verstanden werden kann. Beispielsweise spiegelt sie in Silent Hill 2 James’ seelischen Zustand wider und gerät umso mehr aus den Fugen, je schlechter es ihm geht. Außerdem scheint jede Figur die Monster anders wahrzunehmen. Bis heute ist nicht geklärt, was Vincent in Silent Hill 3 damit meinte, als er sich darüber wunderte, dass die von Heather getöteten Gegner für sie „wie Monster“ aussehen – woraufhin die Theorie aufkam, dass es sich vielleicht um normale Menschen handeln könnte, in denen nur Heather Monster sieht. Man geht jedoch davon aus, dass es sich dabei um einen Scherz Vincents handelte und er die Monster eben auch als Monster wahrnahm.

Am Ende von Silent Hill: Origins spaltet Alessa einen Teil ihrer Seele ab und setzt diesen als Baby auf der Straße aus. Während der verbrannte Körper Alessas weiterhin im Alchemilla Hospital lag und ihr Hass auf die Menschen wuchs, fanden Harry Mason und seine Frau das Baby am Straßenrand, nahmen es mit und tauften es Cheryl. Der erste Teil von Silent Hill lässt sich so erklären dass Alessa, immer noch im Krankenhaus liegend, nach sieben Jahren telepathisch zu ihrem zweiten Ich Cheryl Kontakt aufnimmt und sie nach Silent Hill zurück „befiehlt“, woraufhin Harry seine Tochter dort – von alledem nichtsahnend – sucht und so ihre Vergangenheit aufdeckt. Die Eingravierungen, die Harry auf den Tischen der Grundschule findet, weisen auf Alessas Mobbing-Erlebnisse hin. Ebenso trifft er ihre Pflegerin Lisa im alternativen Alchemilla Hospital, die schließlich vor seinen Augen zerfällt, als sie begreift, dass sie nur noch durch Alessas Einfluss und gefangen in deren Traum existiert.

Wer sich beim Intro von Silent Hill 3 schon einmal gefragt hat, was die kurze Sequenz mit Valtiel zu bedeuten hat, in der er an einem Ventil dreht, während über ihm zwei offensichtlich weibliche Beinpaare tanzen (Die Szene ist auch im Spiel selbst zu sehen, als Heather die Kirche durchquert), dürfte jetzt Klarheit haben: Aus symbolischer Sicht stehen die Extremitäten für die von Alessa und Cheryl und ihren ewigen Schmerz.

Handelt es sich hier um die Beine von Cheryl uns Alessa?

Handelt es sich hier um die Beine von Cheryl uns Alessa?

Wie es in Silent Hill mit Cheryl weitergeht und welche Rolle Alessa, Cheryl und der Kult in Silent Hill 3 spielen, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Nur eines noch: Claudia Wolf, der Heather immer wieder begegnet, gehört natürlich auch zum „Orden“. Sie war als Kind Alessas einzige Freundin an der Grundschule. Um Claudia möglichst kalt und unnahbar wirken zu lassen, entschieden sich die Entwickler für ein unauffälliges, aber entscheidendes Detail: Die Dame mit den langen grauen Haaren hat nämlich keine Augenbrauen.

Mit der gruseligen Claudia Wolf ist nicht gut Kirschen essen

Mit der gruseligen Claudia Wolf ist nicht gut Kirschen essen

Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, wie er die unwirklichen Ereignisse in Silent Hill interpretiert. Mich erinnern die vom Schicksal gebeutelten, verlorenen und sich fremd fühlenden Figuren und die verstörenden Schauplätze an die grotesk-surrealen, verwirrenden Bilderwelten von David Lynch, an die von sicheren Zufluchtsorten, finaler Rettung und Geborgenheit befreiten Drehbücher von Roman Polanski, aber auch an die klaustrophobischen Räume und von Beklemmung und Bedrohung bestimmten Romane von Franz Kafka. Wie Josef K. in Der Prozess hat James das Gefühl, er verliere den Verstand. Wie für Fred Madison in Lost Highway kann es auch für Harry Mason nach all den Traumata am Ende niemals Erlösung geben. Und wie die Protagonistin in Rosemaries Baby kommt Heather, die sich wie Rosemary „schwanger“ mit einem nichtmenschlichen Wesen und von einer okkulten Sekte bedroht sieht, nach repetitivem Widerstand gegen alles Erlebte und Gesehene zu dem Schluss: Dies ist kein Traum, das passiert in Wirklichkeit. Oder doch nicht? Die fließend verlaufende Grenze zwischen realen und surrealen Ebenen lässt diese Frage bis zum Ende unbeantwortet.

Wie ich bereits erwähnt habe, scheint der Verfall der Stadt den Seelenzustand ihrer psychisch derangierten Besucher widerzuspiegeln. Am Ende steht der Ort Silent Hill nur als Metapher für den psychischen Deformationsprozess. Und vielleicht existiert nicht nur die Alternativwelt, sondern die gesamte verrottete Stadt lediglich in den Köpfen der gepeinigten Protagonisten – und natürlich der Spieler…?

Als Inspirationsquelle für die Alternativwelt gilt übrigens der 1990 veröffentlichte Horrorthriller Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits mit Tim Robbins. In der Szene, in der Protagonist Jacob auf einer Bahre durch ein völlig heruntergekommenes Krankenhaus mit blutigen Kacheln geschoben wird, befindet sich über ihm ein Eisengitter, hinter dem Ventilatoren sowie scheinbar verrückt gewordene Patienten zu sehen sind, was stark an die Szene mit Heather im Fahrstuhl (Silent Hill 3) erinnert. Auch die Eingangsszene aus Silent Hill: Homecoming, in der Alex Shepherd auf einer Bahre befördert wird, ist eine direkte Hommage an diese Filmszene.




Die Stelle in Silent Hill 2, als James Sunderland durch die Jalousie eines Schranks späht, um den Pyramid Head zu beobachten, erinnert dagegen stark an eine sehr ähnliche Szene aus Blue Velvet. Dies dürfte nicht weiter verwunderlich sein wenn man bedenkt, dass die Programmierer von Team Silent immer wieder ihre Vorliebe für David-Lynch-Filme betonen. Auch zu Lost Highway sind Parallelen zu erkennen: So wie Maria zu Mary in Silent Hill 2 verhalten sich die Figuren Fred und Pete zueinander – der eine scheint nur eine attraktivere, potentere Version des anderen zu sein.

Die freispielbaren Enden: Von UFOs und Hunden

Zuletzt möchte ich noch einmal auf die verschiedenen Enden zurückkommen. Wie bereits erwähnt, gibt es in jedem Silent Hill mehrere Enden freizuspielen, also Cutscenes, die ihr euch zum Abschluss anseht. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es in fast jedem Spiel mindestens ein gutes, ein schlechtes Ende sowie ein UFO-Ende gibt. Welches Spielende ihr zu sehen bekommt, könnt ihr während des Spielens nicht erahnen, vielmehr benötigt ihr das Lösungsbuch oder Hinweise aus dem Internet um ein Wunschende gezielt zu erspielen. Dazu müssen entweder bestimmte Gegenstände eingesammelt, Personen getötet oder verschont, Gebäude betreten, bestimmte Notizen gelesen oder euer Gesundheitszustand auf einem bestimmten Level gehalten werden. Während das „Good Ending“ euch oftmals mit Hintergrundinformationen versorgt und ein für Silent-Hill-Verhältnisse glimpfliches Ende zeigt, in dem der Held überlebt, geht es in den „Bad Endings“ eben diesem meist an den Kragen.

Ein Ending, das den Fans besonders in Erinnerung geblieben sein dürfte, stammt aus Silent Hill 2. Darin entdeckt James Hündin Mira, die mit Headset und Steuerknüppeln vor mehreren Monitoren sitzt, woraufhin James klar wird, dass sein Horrorabenteuer ein eingebildetes, gesteuertes Werk des Vierbeiners war – ein skurriler Scherz, mit dem die Entwickler Sinn für Humor bewiesen. Das englische Wort für Hund, also Dog, ist dabei als Anagramm für God gedacht, der Kultfigur des Ordens.

Die freispielbaren Enden von Silent Hill sind nicht nur grafisch kurios

Die freispielbaren Enden von Silent Hill sind nicht nur in grafischer Hinsicht kurios

Einen besonderen Anreiz und Erfolg für Fans stellt das bereits erwähnte UFO-Ending dar, das in jedem Spiel (außer in Silent Hill 4) als eine Art Bonus zu finden und etwas schwieriger zu erspielen ist. So muss man zum Beispiel in Silent Hill 2 die auf dem Director’s Cut der Disc befindliche Zusatzepisode „Aus dem Wunsch geboren“ gespielt haben und einen blauen Edelstein finden. Die UFO-Endings sind meist in einem besonderen filmischen Stil gehalten. In Silent Hill 2 wird ein Stummfilm gezeigt, in den meisten anderen Teilen der Reihe besteht das Ending aus Zeichentrick-Bildern. Vorbild für diesen Stil waren die Mars Attacks-Sammelbilder, die in den 60er Jahren amerikanischen Kaugummis beigelegt waren und die auch Tim Burton zu seinem gleichnamigen Kinofilm inspiriert haben.

Komplett abgedreht: Die begehrten UFO-Endings

Komplett abgedreht: Die begehrten UFO-Endings

Im UFO-Ending von Silent Hill: Origins begegnet euch übrigens Mira wieder. Diesmal trägt die Hündin jedoch statt einem Headset einen Astronautenhelm und hat sich mit den Aliens angefreundet. Auch im UFO-Ending von Shattered Memories ist Mira zu sehen und in den Credits eines Downpour-Trailers steht sie als Verantwortliche für das Screenplay.

Und ihr dachtet schon beim Anblick der Monster, die Entwickler seien verrückt?

Ausblick: Die kommenden Silent Hill-Projekte

Zugegeben: Silent Hill-Fans haben es wirklich nicht leicht. Dass Fans die Sache rund um P.T. bis heute nicht verkraftet haben und einen Groll gegen Konami hegen, ist nur allzu verständlich. Silent Hill 2, der legendäre Meilenstein der Reihe, wird 2021 bereits 20 Jahre alt und bis heute ist es den Entwicklern nicht gelungen, an den Erfolg anzuknüpfen, der Serie zu neuem Glanz zu verhelfen oder den ersten Teil der Reihe als würdiges HD-Remake umzusetzen – und das in einer Ära, in der so ziemlich alles rebootet und remastered wird, was aus Pixeln besteht.

Als wäre das noch nicht genug, tut ausgerechnet Konami selbst alles, um Hoffnung zu schüren. Am 31. Juli 2020 twitterten die Japaner den Sirenensound aus Silent Hill und heizten sofort die Spekulationen um einen neuen Teil der Reihe an. Kurze Zeit später gab Konami Entwarnung: Man schaue lediglich gerade Streams zu Dead by Daylight (das einen Silent Hill-DLC erhielt) und schwelge in Erinnerungen. Die Fans waren zu Recht skeptisch: Kann ein so großer Videospielhersteller wie Konami wirklich so naiv sein, nicht zu wissen, was so ein Tweet auslösen kann? Nur einen Tag später eröffnete Konami aus dem Nichts heraus und ohne Erklärung einen offiziellen, verifizierten Twitter-Account zu Silent Hill (https://twitter.com/SilentHill). Die Skepsis, ob wirklich kein neues Silent Hill in Arbeit ist, bleibt seitdem bestehen.

Im Februar 2021 gab Akira Yamaoka der Plattform der arabischsprachigen Gaming-Plattform alhub.me ein Interview, in dem er andeutete, dass er an einem Projekt arbeite, „von dem wir alle hoffen, zu hören“. Wieder waren die Fans in Aufruhr und nur einen Tag später wurde das Video von Al Hub aus dem Netz genommen. Man sei „darum gebeten worden“, jedoch wurden keine Namen genannt und Konami bestritt, etwas damit zu tun zu haben. Es bleibt unklar, was es mit der Löschung des Videos auf sich hatte.

Zu guter Letzt wäre da noch Bloober Team. Das polnische Entwicklerstudio zeichnete sich bereits für Layer of Fear und Blair Witch verantwortlich und hatte jüngst The Medium veröffentlicht, für das kein geringerer als Akira Yamaoka den Soundtrack komponierte. Bloober heizte die Gerüchteküche kräftig an, als man bekannt gab, an einem neuen Horrorspiel „eines sehr berühmten Publishers“ zu arbeiten und dass es „für Aufsehen“ sorgen würde. Da ist es nur allzu verständlich, dass Fans eins uns eins zusammenzählen: Viele berühmte Horror-Franchises gibt es nicht und es gibt Gerüchte, dass das bei Al Hub erwähnte Spiel, an dem Akira Yamaoka mitarbeitet, von Bloober Team entwickelt wird. Videogamechronicles behauptet währenddessen, Konami habe einen japanischen Entwickler mit einem Silent-Hill-Projekt beauftragt.

Am Ende wurden dann alle Zweifel beseitigt, Konami ließ 2022 die Bombe platzen und die große Auferstehung von Silent Hill wurde wahr. In Teil 3 unserer Retrospektive habt ihr bereits erfahren, dass Silent Hill 2 verfilmt wird, doch damit nicht genug: Die bereits erwähnten Entwickler von Bloober Team arbeiten an einem Remake von Silent Hill 2. Ein komplett neues Spiel namens Silent Hill f spielt erstmals in Japan. Ein weiterer komplett neuer Ableger der Reihe hört auf den Namen Silent Hill: Townfall. Wann und auf welchen Plattformen die Spiele erscheinen werden, wurde noch nicht bekannt gegeben. Zu guter Letzt wurde mit Silent Hill: Ascension ein interaktives Video-Streaming-Event angekündigt, für das sich LOST-Schöpfer und Star Wars-Regisseur J.J. Abrams verantwortlich zeigt.

Viel wissen wir noch nicht und mithilfe der Teaser unten könnt ihr euch einen ersten Eindruck der angekündigten Projekte machen. Aber eines wissen wir. Silent Hill ist zurück und wir können es kaum erwarten.










 

Dies war der letzte Teil unseres großen Silent Hill Specials. Über Anregungen und konstruktive Kritik freuen wir uns jederzeit. Wir hoffen, dass wir Fans in ihrem Wissen bereichern und Neulingen Lust auf einen Ausflug in die beschauliche Stadt machen konnten. Ansonsten bleibt uns nur noch zu sagen: Vergesst nicht, eine Taschenlampe mitzunehmen. Grüßt James von uns. Und dreht auf keinen Fall an irgendwelchen Ventilen!

Die komplette Silent Hill-Retrospektive – Teil 1

Die komplette Silent Hill-Retrospektive – Teil 2

Die komplette Silent Hill-Retrospektive – Teil 3

Begann ihre Zockerkarriere mit einem Sega Game Gear. Hält Silent Hill für das ideale Reiseziel und die Ocarina für das schönste Instrument.